Weitere Leistungsausschlüsse für Unionsbürger*innen

im Gesetzentwurf zur Änderung des Freizügigkeitsgesetz

Die Bundesregierung plant – elegant versteckt in einem Gesetzentwurf zur Änderung des FreizügG, in dem vor allem die Aufenthaltsrechte britischer Staatsangehöriger sowie einer neuen Gruppe der „nahestehenden Personen“ von Unionsbürger*innen geregelt werden – weitere Leistungsausschlüsse für Unionsbürger*innen durchzusetzen und die bisherige z.T. positive Rechtsprechung der Sozialgerichte auszuhebeln. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen die Sozialbehörden sowie die Sozialgerichte bei Unionsbürger*innen das Vorliegen eines Aufenthaltsrechts nach dem Aufenthaltsgesetz nicht mehr fiktiv prüfen und aufgrund dessen keine Leistungen mehr bewilligen dürfen.

Dies widerspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts diametral und hätte ganz erhebliche Auswirkungen in der Praxis.

Zum Hintergrund: Bislang bewilligen das Bundessozialgericht und viele Sozialgerichte in bestimmten Fällen SGB-II-Leistungen für Unionsbürger*innen, wenn ein fiktiver Anspruch oder zumindest die Möglichkeit auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz besteht – auch wenn diese tatsächlich nicht ausgestellt wird. Denn auch mit diesem fiktiven Anspruch besteht nach Auffassung der Sozialgerichtsbarkeit ein anderes Aufenthaltsrecht als das der Arbeitsuche. Die Folge: Die Leistungsausschlüsse nach §7 Abs. 1 Satz 2 Nr.2 SGB II bzw. §23 Abs.3 S.1 SGB XII sind in diesen Fällen nicht anwendbar, es besteht ein Anspruch auf Leistungen nach SGB II/XII.

Prominentestes Beispiel für diese positive Rechtsprechung der Sozialgerichte ist ein Urteil des BSG vom 30. Januar 2013, in dem es einer bulgarischen Frau, die schwanger von einem griechischen Mann war, bereits vor der Geburt des Kindes Leistungen nach SGB II zugesprochen hatte.

Die Bundesregierung plant nun, diese Rechtsprechung auszuhebeln: Im neu geplanten §11 Abs. 14 FreizügG (im Gesetzentwurf auf S.10) soll es künftig heißen:
„Das Aufenthaltsgesetz findet auch dann Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als dieses Gesetz. Soweit Rechtsfolgen nach anderen Gesetzen davon abhängen, dass ein Ausländer einen Aufenthaltstitel besitzt, treten diese Rechtsfolgen auch in Fällen des Satzes 1 nur ein, wenn dieser Aufenthaltstitel erteilt worden und nicht im Sinne des §51 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes erloschen ist.“

In der Gesetzesbegründung erläutert die Bundesregierung auch klar das Ziel dieser Formulierung: „Im neuen §11 Absatz 14 Satz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU wird vor dem Hintergrund teilweise anderslautender Rechtsprechung in der Sozialgerichtsbarkeit klargestellt, dass Rechtsfolgen, die insbesondere im Sozialrecht an das Bestehen eines Aufenthaltstitels anknüpfen, auch in den von Satz 1 erfassten Fällen nur dann eintreten, wenn der entsprechende Aufenthaltstitel auch erteilt wurde und noch besteht und insbesondere nicht nur dann, wenn er erteilt werden könnte.“

Dies würde bedeuten, dass die von der Sozialgerichtsbarkeit entwickelte Konstruktion der „fiktiven Prüfung“ des Aufenthaltsgesetzes nicht mehr möglich wäre. In noch mehr Fällen als bisher würden die Jobcenter Leistungen ablehnen mit dem Argument, das Aufenthaltsrecht bestehe ja nur zum Zweck der Arbeitsuche. Die Folge: Menschen, bei denen – wie im vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall der schwangeren Frau – unzweifelhaft ein objektiver Aufenthaltsgrund vorliegt, werden künftig von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen. Dies betrifft zum Beispiel (jeweils mit Link zu schon ergangenen positiven Gerichtentscheidungen, die nun torpediert werden sollen):
die nicht erwerbstätige Frau während der Mutterschutzfrist,
den elfjährigen Sohn einer Frau, die selbst nur über ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht verfügt,
die traumatisierte ehemalige Zwangsprostituierte im Frauenhaus,
die Pflegekinder einer alleinstehenden Arbeitnehmerin,
die Mutter eines einjährigen Kindes, die nicht mit dem erwerbstätigen Kindsvater verheiratet ist, aber zusammen lebt,
die Frau, die nicht mit dem erwerbstätigen Vater von drei gemeinsamen Kindern verheiratet ist und zusammen mit den Kindern getrennt von ihm lebt,
die polnische Mutter eines deutschen Kindes, die bislang keine Aufenthaltserlaubnis von der ABH erhalten hat,
die nicht verheiratete bulgarische Frau während der Schwangerschaft – das Kind wird bei Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Die Ausländerbehörden werden erfahrungsgemäß die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis in den meisten Fällen faktisch verweigern – auch, weil sie gar nicht deren Notwendigkeit erkennen. Das Argument der ABH ist ganz häufig: „Wieso wollen Sie denn eine Aufenthaltserlaubnis? Sie sind doch sowieso freizügigkeitsberechtigt, dann brauchen Sie die doch gar nicht!“ Die sozialrechtliche Folge des Leistungsausschlusses wird von der ABH dabei nicht überblickt, oder – viel schlimmer – beabsichtigt. Die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis gegenüber der ABH durchzusetzen, wird für die meisten Betroffenen praktisch unmöglich sein. Die Folge ist eine politisch gewollte, noch weitergehende soziale Entrechtung von Unionsbürger*innen.

Statt die unsäglichen und verfassungswidrigen Leistungsausschlüsse von Unionsbürger*innen endlich zu streichen, versucht die Bundesregierung nun, auch noch die wenigen bestehenden Lösungsansätze zunichte zu machen. Das Menschenrecht auf menschenwürdiges Existenzminimum wird somit noch weiter unter Nationalvorbehalt gestellt und bei Nicht-Deutschen von deren ökonomischen Verwertbarkeit abhängig gemacht.

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