Offener Brief des Netzwerks Kirchenasyl

zu überfallartigen, gewaltsamen Abschiebungen aus der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) Münster durch die Zentrale Ausländerbehörde Coesfeld

Sehr geehrte Damen und Herren,

als Netzwerk Kirchenasyl Münster stehen wir regelmäßig mit Menschen in Kontakt, die von Abschiebung bedroht sind, durch die ihnen besondere humanitäre Härten drohen. Im Zusammenhang dieser Gespräche mit Betroffenen haben uns alarmierende Berichte über die gegenwärtige Situation in der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) in Münster erreicht.

Bereits seit einigen Monaten finden regelmäßig, z.T. mehrmals wöchentlich, nächtliche Abschiebungen aus der ZUE Münster statt. Dies geschieht in der Regel unangekündig, häufig werden viele (Mehrbett-)Zimmer der Einrichtung auf der Suche nach Personen, die abgeschoben werden sollen, durchsucht, wobei der grundgesetzlich garantierte Richtervorbehalt ignoriert wird. Dies führt zu Angst, Verzweiflung sowie regelrechter psychischer Zermürbung für alle dort schutzsuchenden Personen und stellt nicht selten auch (ein weiteres) traumatisierendes Erlebnis dar. Davon sind auch viele Kinder betroffen.

In der vergangenen Woche (Dienstag, 2.7.19) ist der Versuch einer solchen Abschiebung derart eskaliert, dass wir uns gezwungen sehen, diesen offenen und öffentlichen Weg zu wählen. Schilderungen verschiedener Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen der ZUE zu Folge sind bei einem vor wenigen Tagen erfolgten nächtlichen Abschiebungsversuch sämtliche Grenzen der Menschlichkeit überschritten worden.

Eine Familie, der Sohn volljährig, die Tochter 12 Jahre alt, sollte nachts gegen 4:30 Uhr aus der ZUE abgeholt werden und im Rahmen des Dublin Verfahrens überstellt werden. Der Vater und der Sohn der Familie waren aus Angst vor Abschiebung nicht im Zimmer, die Mutter und minderjährige Tochter haben aus Angst, von der Familie getrennt zu werden, die Tür von innen verbarrikadiert. Daraufhin versuchten MitarbeiterInnen der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB), die Tür aufzubrechen. Dies geschah mit derartiger Gewalt, dass der Stahlrahmen aus der Verankerung gerissen wurde, die Tür hielt jedoch Stand. Von vielen Augenzeugen wurde es als „Belagerungszustand“ geschildert, der etwa zwei Stunden andauerte.
Die Mutter stand während dessen vor lauter Verzweiflung am offenen Fenster und drohte damit, im Falle eines Eindringens zu springen. Die 12-jährige Tochter, aus Angst und Verzweiflung von Innen gegen die Tür haltend, wurde durch den gewalttätigen Versuch der ZAB, die Tür aufzubrechen, an Armen und Oberschenkel mit Prellmarken und Hämatomen verletzt.
Die Situation im Inneren des Zimmers war den Mitarbeiter*innen der ZAB und der Polizei bekannt, da die Tür sich wenige Zentimeter öffnen ließ und Kontakt über einen Dolmetscher bestand. Nach Abbruch des Abschiebeversuchs wurde die Mutter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Der, wie der ZAB weit vor dem Abschiebungsversuch bekannt war, psychisch erkrankte Vater und die mittlerweile psychisch und körperlich verletzte Tochter sowie der nicht minder belastete Sohn der Familie blieben zurück in der ZUE.

Diese ZUE ist für die Familie, aber auch für viele andere Geflüchtete Menschen, inzwischen ein Ort der Angst. An einem Ort, an dem sie nach der Flucht vor Gewalt, vor Armut, vor Krieg und aus vielen anderen persönlichen Gründen zuerst Sicherheit, Ruhe und Schutz erhalten müssten, ist ihnen nun psychisch enorm Belastendes widerfahren, was zu erneuten Traumatisierungen und weiteren psychischen Folgeschäden führen kann . Auch das Psychosoziale Zentrum – Refugio Münster ist besorgt über die Situation in der ZUE. Es sei davon auszugehen, dass ein hoher Anteil der Menschen in der ZUE zu den besonders Schutzbedürftigen gehört. Um die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung und Chronifizierungen psychischer Erkrankungen zu verhindern, ist aus psychotherapeutischer Sicht dringend von destabilisierenden Maßnahmen wie nächtlichen Abschiebungen abzusehen. Das zeigt sich auch deutlich an einer sichtbar erhöhten Zahl stationärer Einweisungen im Nachgang nächtlicher Abschiebungen.

Dies alles passiert im Verborgenen, hinter den Mauern der ehemaligen York-Kaserne, abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Dies alles geschieht mitten in Deutschland, mitten in Münster! Dieses Vorgehen der Behörden nehmen wir nicht hin und wehren uns gegen diese Form der Unmenschlichkeit, der Missachtung des Kindeswohls und der brutalen Anwendung von Gewalt während der Abschiebungen.

Wir appellieren an Sie alle, sich dafür einzusetzen, dass diese unerträgliche Situation beendet wird und sich solche unmenschlichen Vorfälle nicht wiederholen. Das gilt für Abschiebungen aus Münster, genauso aber auch für Abschiebungen aus anderen Landeseinrichtungen, aus Kommunen und aus Abschiebehaft.

Bei Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Benedikt Kern (Netzwerk Kirchenasyl Münster) Dr. Julia Lis (Netzwerk Kirchenasyl Münster) Dr. Georgios Tsakalidis (Mitglied im Integrationsrat der Stadt Münster)

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