Elterngeld für Unionsbürger*innen ohne Prüfung des Freizügigkeitsrechts

Das Bundessozialgericht hat am 27. März (BSG, Urteil vom 27. März 2020; B 10 EG 5/18 R) entschieden, dass Unionsbürger*innen einen Anspruch auf Elterngeld haben, solange die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts nicht förmlich festgestellt hat. Die Elterngeldstellen haben keine Kompetenz zu einer eigenständigen Prüfung, ob die materiellen Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts vorliegen oder nicht. Vielmehr gilt bei Unionsbürger*innen die Freizügigkeitsvermutung, bis durch die Ausländerbehörde das Gegenteil festgestellt wird:

„Bis zu einer formellen Feststellung des Verlustes oder des Nichtbestehens der Freizügigkeit der dafür allein zuständigen Ausländerbehörde nach dem FreizügG/EU - woran es hier fehlt - gilt für Unionsbürger eine generelle Freizügigkeitsvermutung. Elterngeldstellen und Sozialgerichte haben insoweit keine eigenständige Kompetenz, das Bestehen oder Nichtbestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung eines Unionsbürgers nach dem FreizügG/EU in eigener Zuständigkeit zu prüfen“, heißt es im Terminbericht des Bundessozialgerichts.

Die Entscheidung stellt somit klar, dass auch nicht-erwerbstätige oder schon länger arbeitslose Unionsbürger*innen einen Elterngeldanspruch haben, obwohl sie materiell gegebenenfalls keinen Freizügigkeitsgrund (mehr) erfüllen. Dies ist für die Betroffenen besonders wichtig, wenn zusätzlich ein Leistungsausschluss von existenzsichernden Sozialleistungen (SGB II / SGB XII) greift.

Für das Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz hatte der Bundesfinanzhof im Jahr 2017 bereits eine ähnliche Entscheidung getroffen (BFH, Urteil vom 15.3.2017, III R 32/15). Daraufhin hatte eine Bundestagsmehrheit aus CDU/CSU, SPD und der rechtsextremen AfD am 18. Juli 2019 das Einkommensteuergesetz geändert und Unionsbürger*innen vom Kindergeld ausgeschlossen, wenn sie (verkürzt zusammengefasst) nur ein Freizügigkeitsrecht zur Arbeitsuche oder keinen materiellen Freizügigkeitsgrund erfüllen und sie auch zuvor nicht erwerbstätig waren. Laut Gesetz sollen die Familienkassen diese Prüfung – anders als die Elterngeldstellen – in eigener Kompetenz durchführen. Das Ziel ist dabei klar: Wirtschaftlich nicht verwertbaren Unionsbürger*innen sollen effektiv die Kindergeldansprüche gestrichen werden – so wie es die Rechtsradikalen von der AfD pausenlos gefordert hatten. Dass diese Regelung mit hoher Wahrscheinlichkeit europarechtswidrig sein dürfte (siehe hier, hier, hier, hier und hier), hat die Große Koalition dabei nicht gestört.

Zumindest für das Elterngeld ist nun klar, dass derartige Bedingungen wie beim Kindergeld mittels Prüfung des materiellen Freizügigkeitsrechts im BEEG nicht vorausgesetzt werden dürfen. Dasselbe dürfte übrigens beim Anspruch von Unionsbürger*innen auf Unterhaltsvorschuss gelten, da dieser fast wortgleich wie im Elterngeld geregelt ist.

Zu befürchten ist nun, dass Bundesregierung und Große Koalition das Elterngeldgesetz und das Unterhaltsvorschussgesetz deshalb entsprechend ändern und die soziale Exklusion und rechtliche Diskriminierung von Unionsbürger*innen auch bei diesen Familienleistungen vorantreiben könnten.

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