Das migrationspolitische Existenzminimum

Die Humboldt-Law-Clinic hat sich in einem 74-seitigen „Working-Paper“ ausführlich, stringent und fundiert mit der Verfassungswidrigkeit der 1a-Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz auseinandergesetzt. Lohnt sich zu lesen und es finden sich jede Menge gute Argumente für die juristische Auseinandersetzung vor den Sozialgerichten! In der Zusammenfassung der Veröffentlichung von Miriam Bräu und Philip Heimann heißt es:


Durch die Leistungskürzungen in §1a Abs.3-5, 7 i.V.m. Abs.1 AsylbLG liegt ein Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gem. Art.1 Abs.1 GG i.V.m Art.20 Abs.1 GG vor. Dieses in zwei Grundsatzurteilen von 2010 und 2012 vom BVerfG entwickelte Grundrecht setzt klare verfassungsrechtliche Vorgaben bezüglich der Ausgestaltung des zu gewährleistenden Existenzminimums. Keiner der geprüften Tatbestände des §1a AsylbLG hält diesen strengen Vorgaben insbesondere an die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs stand.
Es liegen keine legitimen Ziele vor, da ein Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nur gerechtfertigt sein kann, wenn damit die Überwindung oder Vermeidung der Bedürftigkeit erreicht werden soll. Insbesondere migrationspolitische Ziele können keine Kürzung des Existenzminimums rechtfertigen. Daher stellen weder die Durchsetzung von aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten noch Ausreisepflichten oder eine Verhinderung von sog. Pull-Effekten ein legitimes Ziel dar.
Darüber hinaus kann auch die Verhinderung von rechtsmissbräuchlichem Verhalten keinen Eingriff in das Existenzminimum rechtfertigen, da Sanktionen nicht rein repressiv ausgerichtet sein dürfen. Weiterhin wären die Leistungskürzungen auch nicht geeignet, um diese Ziele zu erreichen, da in den Fällen des §1a Abs.4, 7 AsylbLG keine Abwendung der Sanktion durch eine Verhaltensänderung möglich ist und in den Fällen des §1a Abs.3, 5 AsylbLG die Wirksamkeit von Leistungsminderungen bisher nicht wissenschaftlich erwiesen ist.
Insbesondere sind die Leistungskürzungen auch nicht verhältnismäßig im engeren Sinne, da sie in keinem angemessenen Verhältnis zur Belastung der Betroffenen stehen. Die weitreichenden Kürzungen des physischen Existenzminimums sowie die komplette Streichung von Leistungen zur Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums gem. §1a Abs.1 AsylbLG sind mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht vereinbar.
Darüber hinaus verstoßen die Leistungskürzungen für Minderjährige gem. §1a Abs.3 S.2 AsylbLG gegen die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention. Weiterhin lassen die Einschränkungen der Härtefallklausel im Falle von Leistungskürzungen keine Einzelfallgerechtigkeit zu und sind somit nicht angemessen.
Im Ergebnis stellen die Leistungskürzungen gem. §1a AsylbLG einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gem. Art.1 Abs.1 GG i.V.m Art.20 Abs.1 GG dar. Die Normen können nach den Maßstäben des BVerfG-Urteils von 2019 auch nicht verfassungskonform ausgelegt werden. Somit sind die Leistungskürzungen im AsylbLG verfassungswidrig.

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