Bundesregierung verhindert frühzeitigen Spracherwerb

Der Zugang zu Integrationskursen wird noch einmal erschwert

Einer der ganz wenigen halbwegs positiven Aspekte des so genannten „Migrationspakets“ schien die Öffnung der Integrationskurse und der berufsbezogenen Deutschkurse für größere Gruppen von Asylsuchenden und Geduldeten zu sein. Die SPD-Fraktion lobte die vermeintliche Öffnung der Integrationskurse damals geradezu überschwänglich: „Alle Geduldeten und Gestatteten, die bereits eingereist sind, werden zukünftig nach drei Monaten Zugang zu den Kursen haben. Hiervon würden 200.000 Menschen profitieren. (…) Dies seien insgesamt große Fortschritte, denn das Erlernen der deutschen Sprache habe für alle nur positive Effekte, das Zusammenleben werde dadurch einfacher.“ (Bundestags-Drucksache 19/10692).

Allein: Mit der Realität hat diese Einschätzung nur wenig zu tun. Denn in der Praxis zeigt sich, dass der Zugang zu den Integrationskursen für sehr viele Geflüchtete gerade in der ersten Zeit des Aufenthalts weiterhin versperrt bleibt – dies gilt für viele Betroffene mindestens neun Monate lang. Für Personen, die erst ab August 2019 eingereist sind oder erst noch kommen werden, sind die Zugänge sogar deutlich schlechter geworden als nach der alten Rechtslage. Grund für diese integrationspolitische Rolle rückwärts sind zum einen die von Union und SPD beschlossenen gesetzlichen Regelungen und zum anderen eine bewusst restriktive Auslegung dieser Gesetze durch das Bundesinnenministerium und das Bundesarbeitsministerium.

Konkret:

Zugang zu den Integrationskursen haben gem. § 44 Abs. 4 Nr. 1 AufenthG Personen mit einer Aufenthaltsgestattung, wenn

  • sie entweder aus einem Herkunftsland kommen, für das eine „gute Bleibeperspektive“ gewahrsagt wird. Das dafür federführende Bundesinnenministerium wahrsagt diese „gute Bleibeperspektive“ seit August 2019 nur noch für Asylsuchende aus Syrien und Eritrea. Dies ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern ist eine weitgehend willkürliche Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs – die indes nun zur Folge hat, dass der Zugang zum Integrationskurs nach dieser Regelung für Menschen aus Iran, Irak, Somalia (und allen anderen Herkunftsstaaten) nicht mehr besteht. Also: Eine Verschlechterung gegenüber der Situation vor August 2019!
  • oder für sie zwar keine „gute Bleibeperspektive“ gewahrsagt wird, sie aber als „arbeitsmarktnah“ gelten. Diese Möglichkeit ist durch das Migrationspaket neu eingeführt worden und uns als große Verbesserung verkauft worden. Zu Unrecht! Denn:
    Sie gilt zum einen nur dann, wenn die Person vor dem 1. August 2019 eingereist ist. Somit ist dieser Weg für alle Menschen, die künftig einreisen werden, von Anfang an versperrt.
    Und: Voraussetzung ist außerdem, dass mindestens eine Meldung als „arbeits- oder ausbildungssuchend“ bei der Arbeitsagentur erfolgt (nur bei Familien mit Kindern unter drei Jahren wird dies nicht verlangt). Für die Arbeitsuchendmeldung muss jedoch nach Interpretation des zuständigen Bundesarbeitsministeriums ein „abstrakter Arbeitsmarktzugang“ bestehen – also eine Beschäftigungserlaubnis zumindest theoretisch erteilt werden können. Asylsuchende, die in Landesaufnahmeeinrichtungen (zu erkennen z.B. am Label AnkER, LEA, ZUE, EAE o.ä.) leben müssen, können aber erst nach neun Monaten Dauer des Asylverfahrens eine Beschäftigungserlaubnis erhalten. Zugleich ist die Verpflichtung zum Leben in Landeslagern durch eine Änderung des Asylgesetzes für zahlreiche Gruppen auf bis zu 18 Monate (Familien mit minderjährigen Kindern: bis zu sechs Monate) drastisch verlängert worden. In einigen Bundesländern (Bayern, NRW) müssen Asylsuchende unter Umständen sogar 24 Monate in den Landeslagern leben. (Ausführliche Informationen finden Sie dazu hier).

Die Folge ist: In den ersten neun Monaten können Asylsuchende, die nicht aus Syrien oder Eritrea stammen, nicht an Integrationskursen teilnehmen, wenn sie noch nicht einer Kommune zugwiesen worden sind. Falls sie erst ab dem 1. August 2019 eingereist sind oder künftig erst einreisen werden, besteht diese Möglichkeit ohnehin nicht mehr. Der Zugang zum Integrationskurs ist somit nicht besser, sondern schlechter geregelt als vor Inkrafttreten des „Migrationspakets“!


Die Interpretation des Bundesarbeitsministeriums, dass für eine Arbeitsuchendmeldung ein „abstrakter Arbeitsmarktzugang“ vorausgesetzt werde, ist dabei alles andere als zwingend: Denn anders als für eine Arbeitslosmeldung muss man für eine Arbeitsuchendmeldung nicht den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur zur Verfügung stehen – die Verfügbarkeit ist keine Bedingung. Somit wäre es sehr wohl denkbar gewesen, die Arbeitsagenturen anzuweisen, dass auch während der ersten neun Monate im Asylverfahren die Arbeitsuchendmeldung vorgenommen wird – schließlich besteht ja in aller Regel zumindest ein perspektivischer Arbeitsmarktzugang.


Somit zeigt sich: Die Gesetzgeberin hat ganze Arbeit geleistet bei ihrem Versuch, Integration möglichst umfassend zu verhindern. Diese Verhinderungspolitik setzt sich auch diesseits der Gesetzgebung weiter fort, indem sowohl das Bundesinnenministerium als auch das Bundesarbeitsministerium ohne Not eine unnötig restriktive Gesetzesinterpretation betreiben.

Umso wichtiger, dass der Bundesrat in seiner Sitzung am 11. Oktober die Forderung verabschiedet hat, die Sprachförderung für „alle Zuwandernden, einschließlich der Geduldeten, möglichst frühzeitig“ zu ermöglichen. Unverständlich ist, warum BMI und BMAS nicht zumindest die vorhandenen Spielräume nutzen, um diesem Ziel bereits jetzt näher zu kommen.

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