Fotoprojekt Pulverschuppen

Münster ist seit 2004 offiziell die lebenswerteste Stadt der Welt. Aber auch vorher wurde sie bereits Heimat vieler Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in diese Stadt kamen: Sei es zum Studieren oder Arbeiten, der Liebe wegen oder aber, weil sie ihre alte Heimat auf Grund von Verfolgung, Krieg oder Diskriminierung verlassen mussten.

Menschen, die in Deutschland Schutz vor Gefahr und Verfolgung suchen, hoffen auf einen Zufluchtsort, der ihnen Sicherheit gibt. Diese Orte sind in Deutschland jedoch meistens Sammelunterkünften, abseits des alltäglichen Lebens. Gekennzeichnet durch Abschottung und Ausgrenzung verhindert die offizielle Unterbringungspraxis nahezu Kontakte und ein Miteinanderleben in einer Stadt. Hinzu kommen weitere Regelungen und Einschränkungen die das Leben und die gesellschaftliche Teilhabe für Flüchtlinge in Deutschland erschweren bzw. unmöglich machen.

Die Stadt Münster hat sich mit dem Unterbringungskonzept von 2001 auf die Fahnen geschrieben, die Sammelunterkünfte der Vergangenheit abzuschaffen. Durch Dezentralisierung der Unterbringung sollte allen Menschen in dieser Stadt ein würdevolles Leben ermöglicht werden. Dies führte zum Abriss von alten Gemeinschaftsunterkünften. Anfang 2012 wurden die Häuser an der Manfred-von-Richthofen-Straße, in den seit über 13 Jahren überwiegend Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien wohnten, abgerissen. Einige von ihnen fanden privaten Wohnraum auf dem knappen und engen Wohnungsmarkt, andere konnten keine Wohnung finden und leben nun mit ihren Familien in der Obdachlosenunterkunft an der Trauttmansdorffstraße.

Ende 2011 fand der bereits geräumte Pulverschuppen sein Ende. Am Stadtrand gelegen, hinter dem Kanal im Wald lebten dort seit über 15 Jahren überwiegend Roma aus Serbien, Mazedonien und dem Kosovo.

Die Situation der Roma in Südosteuropa ist gekennzeichnet von Verfolgung, Diskriminierung und Ausgrenzung. Anfang der 1990 er Jahre und im Zuge des Kosovo Krieges 1999 waren es vor allem Roma, die alles verloren. Ihnen wurde nach dem Krieg auch das Recht auf Rückkehr genommen, da ihnen von allen Kriegsparteien Kollaboration mit den Gegnern vorgeworfen wurde. Enteignung, Diskriminierung, Verweigerung des Arbeitsmarkt- und Bildungszugangs, Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben und die daraus resultierende Armut, führen auch heute noch dazu, dass viel Roma ihre einzige Lebensperspektive für sich und ihre Kinder in Westeropa sehen.

So leben auch hier in Münster viele Roma Familien seit bald 20 Jahren. Ihre Kinder gehen hier zu Schule oder arbeiten. Viele sind hier aufgewachsen und haben bereits eigene, in Münster geborene Kinder.

Münster, der Zufluchtsort ihrer Eltern, ist ihr Zuhause!

Das Leben dieser Kinder und Jugendlichen unterscheidet sich nicht merklich von dem ihrer Mitschüler_innen und Freund_innen. Sie haben die gleichen Interessen, Wünsche und Träume, sie leben in Albachten, Kinderhaus und im Zentrum.

Und doch teilen sie eine besondere Erfahrung, die ihrer gemeinsamen Vergangenheit.

 

Das Projekt

Das Fotoprojekt „Pulverschuppen“ beschäftigte sich mit dieser geteilten Vergangenheit. Es ist im Rahmen des Schlauberger-Projekts der GGUA e.V. entstanden. Die am Projekt beteiligten Jugendlichen sind alle in der Flüchtlingsunterkunft am Pulverschuppen aufgewachsen. Ende 2010 mussten sie auf Grund der Abrisspläne der Stadt die Unterkunft verlassen. Der Umzug aus den Häusern ihrer Kindheit war eine große und auch schmerzliche Veränderung in ihrem Leben, wie sie viele Menschen kennen, die ihr vertrautes Zuhause verlassen müssen.

Gemeinsam haben die Jugendlichen Ende 2011, im Rahmen des Projekts, den Ort ihrer Kindheit ein letztes Mal besucht. Einige Tage vor dem Abriss der Häuser verabschiedeten sie sich wehmütig von einem Teil ihrer Kindheit in Münster. Die Erinnerungen, die hierbei aufkamen, waren von kindlicher und schöner Natur: der vorbeirauschende Zug, die Spiele auf der großen Wiese, das Tanzen. Auch die Hausaufgabenbetreuung des Projekts Schlauberger gehört zu diesen schönen Erinnerungen.

In den wunderbaren Gesprächen mit den Jugendlichen während dieses Projektes wurde jedoch klar, worin sich ihre Vergangenheit von der ihrer Altersgenossen unterscheidet: die Unbeschwertheit ihrer Kindheit wurde ihnen durch den unsicheren Aufenthaltsstatus und die dadurch bedingte ständige Angst vor Abschiebung, mit der sie aufwuchsen, genommen. Viele erlebten, wie ihre Nachbar_innen, Verwandte und Freund_innen gehen mussten oder von der Polizei abgeholt wurden, ohne die Zeit zu haben, sich zu verabschieden.

Das Fotoprojekt zeigt den Blick dieser jungen Münsteraner_innen auf ihr Leben in ihrer Stadt.

Die Jugendlichen haben fotografisch festgehalten, was Ihnen wichtig ist und sie erzählten ihre Geschichte dazu. Wir konnten beobachten, wie sie in das Projekt eingetauchten und sich auf Persönliches einließen. Intensiv und kontrovers diskutierten sie, ob, wie und mit welchen Inhalten und Botschaften sie die Ergebnisse ihres Projekts der Öffentlichkeit vorstellen wollten.

Vor allem haben sie deutlich gemacht, dass sie Teil der Gesellschaft dieser Stadt sind und hier in der „lebenswertesten Stadt der Welt“ ihre Zukunft sehen.

 

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