Neuer NRW-Erlass zu Studierenden aus der Ukraine

Am 17. Oktober hat das MKJFGFI einen hilfreichen Erlass für NRW zum Verfahren bei nicht-ukrainischen drittstaatsangehörigen Studierenden aus der Ukraine veröffentlicht, der für DSA-Studierende aus der Ukraine unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit der Erteilung einer Erlaubnisfiktion für die Prüfung eines Aufenthaltstitels nach §16a (Ausbildung) bzw. §16b (Studium) AufenthG für 12 Monate vorsieht. Mit dieser Regelung soll DSA während der 12-monatigen Dauer der Fiktionsbescheinigung die Möglichkeit gegeben werden, die noch fehlenden Erteilungsvoraussetzungen für eine qualifizierte Ausbildung oder ein Studium zu erreichen. Die Regelung ist grundsätzlich sehr zu begrüßen, gleichzeitig finden sich einige Ausschlüsse und in der Konsequenz auch eine problematische Einschränkung der sozialrechtlichen Leistungen sowie des Arbeitsmarktzugangs.

Die wichtigsten Inhalte im Überblick:

Die Regelung im Erlass umfasst Studierende aus Drittstaaten, die u.a.
– sich am 24.02. mit einem befristeten AT für ein Studium in der Ukraine aufgehalten haben und eingeschrieben waren,
– nach dem 24.02. aus der Ukraine kommend erstmalig in die BRD eingereist sind,
– die Passpflicht erfüllen,
– bereits während der Dauer der Befreiung vom Erfordernis eines AT durch die UkraineAufenthÜV einen Antrag auf eine AE gestellt haben.
Weiterhin muss glaubhaft gemacht werden, dass die Personen in NRW ein Studium oder eine qualifizierte Ausbildung aufnehmen wollen, bspw. durch eine förmliche Studienplatzbewerbung oder auch Kontaktaufnahme zur Uni/FH bzw. Organisation eines studienvorbereitenden Sprachkurses (S.4).
Eine Möglichkeit der Verlängerung gibt es nicht.
Ein bereits gestellter und noch nicht beschiedener Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis nach §24 AufenthG kann dann als (konkludenter) Antrag auf eine AE nach §16a oder §16b AufenthG betrachtet werden, und eine entsprechende Erlaubnisfiktion für die Dauer von 12 Monaten ab erstmaliger Antragstellung wird erteilt.
Die Fiktionsbescheinigung berechtigt nur zur Ausübung einer Beschäftigung im Rahmen von §16a bzw. §16b AufenthG (also 120 Tage im Jahr bzw. 10 Stunden pro Woche).
Die Regelung kann für Studierende einen gangbaren Weg darstellen, es finden sich jedoch auch einige Ausschlüsse.

Im Ergebnis sind Personen ausgeschlossen, die
– nach der ersten Einreise zwischenzeitlich aus der BRD ausgereist sind und wieder eingereist sind (es findet sich keine Möglichkeit der Begründung von Ausreisen)
– bereits einen Master-Abschluss oder vergleichbaren Abschluss in der Ukraine haben (ein Ausschluss bei einem Bachelor-Abschluss findet sich nicht). Es gibt eine Beschränkung auf Studierende. Wünschenswert wäre eine Öffnung auch für qualifizierte ehemalige Studierende, die ein Studium in der Ukraine bereits erfolgreich abgeschlossen haben, um die Möglichkeit zu geben für einen Übergang z.B. in eine AE nach §18b AufenthG (um Sprachkenntnisse zu erwerben, eine entsprechende Beschäftigung zu finden, Qualifikationen anerkennen zu lassen). Dies sieht der Erlass nicht vor.
– Auch Personen, die bereits ausreisepflichtig geworden sind, sind von der Erteilung der Erlaubnisfiktion ausgeschlossen, da für die Fiktionswirkung (§81 Abs.3 AufenthG) ein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet Voraussetzung ist. Dieser Ausschluss dürfte z.B. auch Personen betreffen, die während des visumfreien Aufenthalts keinen Antrag auf eine AE gestellt haben, deren Antrag auf die AE nach §24 AufenthG bereits abgelehnt wurde oder die sich aktuell noch im Asylverfahren befinden. Wenn ein Asylverfahren im weiteren Verlauf abgelehnt wird und nach Ablehnung des Asylantrags ein Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis nach §24 AufenthG bzw. §16a oder §16b AufenthG gestellt wird, geschieht die Antragstellung dann eben nicht mehr aus einem rechtmäßigen (visumfreien) Aufenthalt. Dieser erlischt aufgrund von §55 Abs.2 AsylG mit Stellung des Asylantrags (hier bliebe dann nur der Weg über die Ausbildungsduldung, Punkt II.3).

Der Erlass weist auch nochmal darauf hin, dass für Menschen, die schon in eine Duldung gefallen sind, die Ausbildungsduldung offen steht. Das mögliche Argument des offensichtlichen Missbrauchs zur Versagung der Ausbildungsduldung sollte also nicht anwendbar sein.

Sozialrechtliche Ansprüche:
Es ist problematisch, dass das MKJFGFI die Fiktionsbescheinigung auf Grundlage von §16a/b vorsieht. Denn damit ist nicht nur der Arbeitsmarktzugang beschränkt (bei Fiktion auf 16b auf 120 Tage/Jahr bzw. bei Fiktion auf 16a auf 10 Stunden pro Woche). Auch der Sozialleistungszugang ist unklar. Denn anders als bei der Fiktion auf §24 ist nicht ohne weiteres ein SGB-II-Zugang gegeben. Die BA geht in ihrer Fachlichen Weisung zu §7 SGB II (Randnummer 7.40) von Folgendem aus:
„Beantragen Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten, aber keinen Aufenthaltstitel besitzen, erstmals einen Aufenthaltstitel, so gilt der Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde zwar als erlaubt („Erlaubnisfiktion“ gemäß §81 Absatz 3 Satz 1 AufenthG). […]. In der Regel ist aber mangels Bleibeperspektive noch nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des §7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 SGB II auszugehen.
Das heißt: In der Praxis werden die Jobcenter aus diesem Grund ablehnen – auch wenn die pauschale Annahme, es liege mit Fiktionsbescheinigung kein gewöhnlicher Aufenthalt vor, rechtlich so nicht zulässig ist. Hinzu kommt, dass zumindest bei einer Fiktion auf §16a die Erwerbstätigkeit nur für 10 Stunden pro Woche erlaubt würde, so dass aus Sicht der Jobcenter auch die Voraussetzung der rechtlichen Erwerbsfähigkeit für den Zugang zum SGB II u.U. nicht erfüllt sein könnte. Hier wäre als Gegenargument vorzutragen, dass noch keine konkrete Erlaubnis der Erwerbstätigkeit vorliegen muss, sondern es ausreicht, dass die Erwerbstätigkeit nach Finden der entsprechenden (Ausbildungs-)Stelle erlaubt werden könnte (vgl. §8 SGB II).
Ein AsylbLG-Anspruch besteht auch nicht, da ein rechtmäßiger Aufenthalt vorliegt. Wenn weder SGB II noch AsylbLG beansprucht werden können, bliebe in diesen Fällen ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII, für den weder der gewöhnliche Aufenthalt, noch eine rechtliche Erwerbsfähigkeit erfüllt sein müssen. In der Praxis wird die Durchsetzung jedoch absehbar nicht funktionieren. Hier bräuchte es daher dringend einer Klarstellung des MKJFGFI, möglichst in Absprache mit dem MAGS bzw. der BA, damit man gegenüber den JC/Sozialämtern etwas in der Hand hat.
Daneben besteht mit der Fiktionsbescheinigung auf §16a/b – anders als mit der Fiktion auf §24 – weder ein Anspruch auf Kindergeld, noch auf Elterngeld, Unterhaltsvorschuss oder BAföG. Die sozialrechtlichen Folgen sind daher durch die Vorgabe des Landes, die Fiktion auf §16a/b zu erteilen statt auf §24, gravierend und für viele Betroffene existenziell.
In der Konsequenz könnte es daneben dazu kommen, dass Drittstaatsangehörige, die aktuell im Besitz einer Fiktionsbescheinigung nach §24 AufenthG sind und entsprechend Leistungen nach dem SGB II beziehen oder auch bereits (Vollzeit-)erwerbstätig sind, nach einer Umwandlung in eine Fiktionsbescheinigung nach §16a oder §16b AufenthG wieder aus dem SGB-II-Bezug rausfallen bzw. ihrer Erlaubnis zur Vollzeit-Erwerbstätigkeit verlieren. Auch eine bestehende BAföG-Berechtigung für Menschen mit einer Fiktionsbescheinigung nach §24 AufenthG (§61 Abs.1 Nr.2 BAföG) würde wieder wegfallen.
Das Land Berlin hat wohl auch aus diesen Gründen beschlossen, den DSA-Studierenden eine 6-monatige Fiktion auf §24 zu erteilen, hiermit würden die Ausschlüsse aus dem SGB II und auch die Einschränkung der Erwerbstätigkeit umgangen. Das hat zwar zur Folge, dass die Sperre des §19f relevant werden könnte. Unserer Ansicht nach würde man aber da drum herum kommen, da Sperren (während des Antragsverfahrens auf §24 AufenthG) für Aufenthalte zumindest zu Studienzwecken der EU-REST-Richtlinie widersprechen. Zudem wäre die Sperre nicht mehr relevant, wenn zum Zeitpunkt des Erfüllens der Voraussetzungen für §16b der Antrag auf §24 zurückgenommen würde. Es gibt daher viele Argumente, die gegen die von NRW vorgesehene Fiktion auf §16a/b sprechen.

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