Leistungsausschluss in Dublin-Fällen ist rechtlich und tatsächlich unanwendbar

Erlass des MFFKI Rheinland-Pfalz

Das Flüchtlingsministerium (MFFKI) Rheinland-Pfalz hat einen aktualisierten Erlass herausgegeben zu den Leistungsausschlüssen in Dublin-Fällen und in Anerkannten-Fällen (§1 Abs.4 Nr.1 und 2 AsylbLG). Rheinland-Pfalz ist unserer Kenntnis nach das einzige Bundesland, das die Sozialbehörden ausdrücklich dazu auffordert, bei ihren Entscheidungen die Verfassung und EU-Recht (Aufnahmerichtlinie) zu beachten. Im Ergebnis kommt Rheinland-Pfalz zu dem Schluss, dass ein vollständiger Leistungsausschluss stets unzulässig und selbst eine Leistungskürzung nicht mit EU-Recht zu vereinbaren ist.

Im Einzelnen gilt nach dem rheinland-pfälzischen Erlass für Dublin-Fälle (§1 Abs.4 Nr.2 AsylbLG):
– Für einen möglichen Leistungsausschluss ist die Feststellung des BAMF im Dublin-Bescheid, dass die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich sei, eine eigene Tatbestandsvoraussetzung. Wenn im BAMF-Bescheid dieser Zusatz nicht enthalten ist, ist der Leistungsausschluss schon von vornherein unzulässig (z.B. bei Griechenland und Italien oder in alten BAMF-Bescheiden).
– Eine weitere Tatbestandsvoraussetzung ist „die unmittelbare Realisierbarkeit der freiwilligen Ausreise im Rahmen des Überstellungsprozesses“. Das heißt: Die selbstinitiierte, „freiwillige Ausreise“ in den Dublin-Staat muss unmittelbar möglich sein. Hierfür müssen ein konkreter Ausreisetermin, die Überstellungsmöglichkeit sowie die Zusage des aufnehmenden Landes vorliegen und es muss „sichergestellt sein, dass das ausgestellte Laissez-passer vom aufnehmenden Land sowie ggfs. von Transitländern akzeptiert und dies auch gegenüber der betroffenen Person mitgeteilt worden“ sein. Die freiwillige Ausreise ist in Dublin-Verfahren aber eigentlich nicht vorgesehen und nicht selbstinitiiert möglich.  
– Wenn ein Leistungsausschluss verhängt wird, müssen die „Überbrückungsleistungen“ nicht nur für 14 Tage, sondern zwingend immer bis zur tatsächlichen Ausreise erbracht werden. „Die Herbeiführung eines polizeirechtlichen Gefahrenzustandes durch eine zeitlich restriktive Auslegung der Überbrückungsleistungen, die die verfassungsrechtlichen Maßgaben verkennt und einen vollständigen Entzug des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art.1 Abs.1 i.V.m. Art.20 Abs.1 GG und damit Obdachlosigkeit, Hunger sowie sonstige Beeinträchtigungen von Leib und Leben zur Folge hätte, ist zu vermeiden.“
– Das im Gesetz vorgesehene Verbot von Geldleistungen ist unionsrechtswidrig und daher unanwendbar.
– Für Minderjährige müssen im Rahmen der Überbrückungsleistungen auch Leistungen des persönlichen Bedarfs und nach §6 AsylbLG erbracht werden – faktisch darf also gar keine Kürzung erfolgen.
– Die gekürzten Überbrückungsleistungen im Umfang von §1a AsylbLG sind nach Auffassung des Ministeriums vom Umfang her EU-rechtswidrig. Sie widersprechen Art.20 der EU-Aufnahmerichtlinie. „Damit ist zu konstatieren, dass das Leistungsszenario des §1 Abs.4 Satz1 Nr.2 AsylbLG die europarechtlichen Mindestanforderungen an die Gewährung materieller Leistungen im Zuge der Aufnahme unterschreitet.“
– Der Anspruch auf gesundheitliche und sonstige Hilfe für Personen mit besonderen Bedürfnissen entsprechend §6 AsylbLG ist zwar während der Überbrückungsleistungen dem Wortlaut des §1 Abs.4 AsylbLG nach ausgeschlossen. Aber eine Rechtsgrundlage bildet unmittelbar Art.19 der Aufnahmerichtlinie.

Unterm Strich heißt das: Der Leistungsausschluss in Dublin-Fällen ist – sofern sich die Sozialbehörden an die landesrechtlichen Vorgaben halten – rechtlich und faktisch unanwendbar. Allenfalls eine Leistungskürzung entsprechend §1a AsylbLG kann denkbar sein – allerdings nicht für Minderjährige oder Personen mit besonderen Bedürfnissen. Und selbst diese Leistungskürzung wäre EU-rechtlich unzulässig (vgl.: Vorabentscheidungsersuchen des Bundessozialgerichts an den EuGH; Beschluss vom 25.7.2024, B 8 AY 6/23 R).

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