Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat eine ganz interessante Eilentscheidung (Beschluss vom 10. Oktober 2024; L 6 AS 144/24 B ER) zum Sozialleistungsanspruch für einen syrischen Studierenden mit §16b AufenthG gefällt, der im Nachhinein auch einen Asylantrag gestellt hatte. Die Entscheidung geht ausführlich auf die Systematik der einzelnen Leistungsausschlüsse im SGB II und XII, auf die Zuordnung zum SGB II/XII oder AsylbLG sowie auf die Überbrückungs- und Härtefallleistungen nach SGB XII ein. Diese Fragen stellen sich in der Beratungspraxis immer wieder. Daher möchte ich diese Entscheidung ausführlicher vorstellen.
Der Hintergrund:
– Eine syrische Person ist mit Visum für das Studium nach Deutschland eingereist. Hier hat sie die Aufenthaltserlaubnis §16b Abs.5 AufenthG erhalten, um zunächst studienvorbereitende Maßnahmen zu absolvieren. Die ABH hat als Nebenbestimmung in die Aufenthaltserlaubnis geschrieben: „Nur gültig zum studienvorbereitenden Sprachkurs bei x. Die Ausübung einer Beschäftigung von insgesamt 120 Tagen bzw. 240 halben Tagen im Jahr sowie studentische Nebentätigkeit ist erlaubt. Der Aufenthaltstitel erlischt bei Beendigung oder Abbruch des Sprachkurses. Der Sozialleistungsbezug ist ausgeschlossen.“ Sie hat Sprachkurse abgeschlossen und sucht aktuell einen Platz an einem Studienkolleg. Der Besuch des Studienkollegs ist Voraussetzung für die Aufnahme des Studiums.
– Sie hat während des Aufenthalts mit der Aufenthaltserlaubnis nach §16b AufenthG einen Asylantrag gestellt. Sie ist daher gleichzeitig im Besitz einer Aufenthaltsgestattung; zumindest ist ihr Aufenthalt (zusätzlich) gestattet gem. §55 Abs.1 AsylG.
– Sie hat vor Ablauf der alten Aufenthaltserlaubnis einen Antrag auf Verlängerung des §16b Abs.5 AufenthG gestellt. Die ABH hat ihr eine Fortgeltungsfiktion gem. §81 Abs.4 AufenthG ausgestellt, in der dieselbe Nebenbestimmung vermerkt ist. Über den Verlängerungsantrag ist noch nicht entschieden.
– Da sie über keine finanziellen Mittel mehr verfügt, hat sie einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt. Dieser wurde abgelehnt, da das Jobcenter der Auffassung war, dass man mit §16b keinen Anspruch hätte (weil es sich konkret um einen Aufenthalt zur Studienplatzsuche handele und auch nach Aufnahme eines Studiums wegen einer dem Grunde nach BAföG-förderfähigen Ausbildung keinen Anspruch hätte) und außerdem in der Nebenbestimmung der Bezug von Sozialleistungen ausgeschlossen wurde.
– Später hat sie einen Antrag auf Leistungen nach AsylbLG gestellt. Dieser wurde abgelehnt, weil sie trotz Asylverfahrens im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis (bzw. in der Fiktionswirkung) sei, die nicht zum AsylbLG berechtige.
– Stattdessen hat das Sozialamt Überbrückungsleistungen nach §23 Abs.3 S.3 bis 6 SGB XII für mehrere Monate bewilligt und auch zugesichert diese weiter zu zahlen, solange die Fiktionswirkung fortbestehe. Die Höhe entspricht etwa den Leistungen nach §1a AsylbLG.
Das LSG hat dazu die Leistungsansprüche nach den einzelnen Leistungssystemen unter Berücksichtigung des Aufenthaltsstatus recht ausführlich geprüft. Es kommt zu folgenden nicht unwichtigen Feststellungen:
SGB II:
Die Person ist zwar dem Grunde nach eigentlich leistungsberechtigt nach dem SGB II, denn:
– Die Beschäftigungserlaubnis von 120 Tagen im Jahr (nach neuem Recht: 140) genügt für die rechtliche Erwerbsfähigkeit (dies wird von Jobcentern in der Praxis immer wieder verneint).
– Der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland ist gegeben. Dieser bestimmt sich nämlich nicht nach einem bestimmten Aufenthaltsstatus, sondern entscheidend ist, dass man sich zukunftsoffen hier aufhält: „Die Notwendigkeit eines bestimmten Aufenthaltstitels ergibt sich daraus nicht.“ Auch mit der Fiktionsbescheinigung kann gewöhnlicher Aufenthalt bestehen. (Auch das ist in der Praxis immer wieder ein Streitpunkt.)
– Die Ausländerbehörde kann mit einer Nebenbestimmung einen Sozialleistungsbezug bzw. -anspruch nicht ausschließen.
– Aufgrund der Fiktionswirkung (Verlängerungsantrag ist vor Ablauf der alten Aufenthaltserlaubnis gestellt, aber noch nicht entschieden) besteht ein „rechtmäßiger Aufenthalt“. Die Fiktionsbescheinigung ist hierfür keine Voraussetzung.
– Aber: Es besteht für die Person ein Leistungsausschluss gem. §7 Abs.1 S.2 Nr.2b SGB II. Demnach ist man vom SGB II ausgeschlossen, wenn sich das Aufenthaltsrecht „allein aus dem Zweck der Arbeitsuche, der Ausbildungs- oder Studienplatzsuche oder aus einer Aufenthaltserlaubnis nach §20a des Aufenthaltsgesetzes ergibt“. Das LSG ist der Auffassung, darunter auch Personen fallen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach §16b Abs.1 oder 5 AufenthG besitzen, aber einen Platz für ein Studienkolleg suchen. Das Studienkolleg sei nämlich Voraussetzung für die spätere Aufnahme eines Studiums. Damit erweitert das LSG den Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses über die „üblichen“ Aufenthaltserlaubnisse nach §17, 20 und 20a AufenthG hinaus auf andere – möglicherweise auch auf §16g Abs.5 AufenthG (Suche eines neuen Ausbildungsplatzes nach unverschuldetem Verlust des alten) oder §16b Abs.6 (Suche eines neuen Studienplatzes).
– Im Ergebnis besteht kein Anspruch auf Leistungen nach SGB II.
AsylbLG:
– Der Aufenthalt der Person ist zwar (auch) gestattet, da sie einen Asylantrag gestellt hat.
– Der frühere Aufenthaltstitel ist jedoch durch den Asylantrag nicht erloschen, da er eine Gültigkeit von mehr als sechs Monaten hatte (§55 Abs.2 AsylG). Auch die Fortgeltungsfiktion erlischt nicht, wenn der frühere Titel mehr als sechs Monate Gültigkeit hatte (§55 Abs.2 S.2 AsylG).
– Ein Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG besteht nicht, da sie zusätzlich über einen (fingierten) Aufenthaltstitel verfügt, der länger als sechs Monate Gültigkeit hat und nicht dem AsylbLG unterliegt (§1 Abs.2 AsylbLG).
– Für einen Anspruch auf AsylbLG müsste die Person ihren Antrag auf Verlängerung des §16b AufenthG entweder zurücknehmen, oder die ABH müsste ihn ablehnen. Danach bestehe Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG.
– Eine Wohnpflicht in einer Landeseinrichtung würde auch bei Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis nicht entstehen, da zum Zeitpunkt der Asylantragstellung ein Aufenthaltstitel von mehr als sechs Monate Gültigkeit vorgelegen hatte (§47 Abs.1 i.V.m. §14 Abs.2 Nr.1 AsylG).
– Im Ergebnis besteht kein Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG.
Überbrückungs- und Härtefallleistungen nach dem SGB XII:
– Es besteht hingegen Anspruch auf Überbrückungs- und Härtefallleistungen nach §23 Abs.3 S.3 bis 6 SGB XII.
– Diese Sub-Leistungen sind für Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit vorgesehen, die von den „normalen Leistungen“ ausgeschlossen sind.
– Das LSG stellt erneut fest, dass für die Überbrückungsleistungen das Äußern eines Ausreisewillens oder einer Ausreisebereitschaft keine Voraussetzung ist.
– Auch eine Ausreisepflicht ist keine Voraussetzung für die Überbrückungsleistungen.
– Obwohl man erwerbsfähig ist, kann man Überbrückungsleistungen nach dem SGB XII beanspruchen.
– Der Antrag auf Leistungen nach dem SGB II umfasst implizit auch das Begehren auf Überbrückungsleistungen, die Überbrückungsleistungen dürfen also nicht von einem ausdrücklichen Antrag beim Sozialamt abhängig gemacht werden, wenn vorher eine andere Leistung (erfolglos) beantragt worden war. Die Kenntnis des Jobcenters über die Hilfebedürftigkeit ist dem Sozialamt zuzurechnen. Die Überbrückungsleistungen müssen daher rückwirkend ab dem Antrag beim Jobcenter erbracht werden.
– Die Überbrückungsleistungen umfassen der Höhe nach normalerweise nur das physische Existenzminimum plus Gesundheitsversorgung und Unterkunft. Sie müssen regelmäßig nur für einen Monat erbracht werden. In Härtefällen müssen sie höhere Leistungen umfassen und/oder auch länger geleistet werden. Das Sozialamt hatte in diesem Fall von sich aus längerfristige Überbrückungsleistungen bewilligt. Das LSG geht darauf nicht ausdrücklich ein, vertritt aber implizit die Auffassung, dass die Überbrückungsleistungen während des gesamten tatsächlichen Aufenthalts erbracht werden müssen, solange kein Anspruch auf „normale“ Leistungen nach SGB II/XII / AsylbLG besteht.