Länderchef*innen und Kanzler verabreden verfassungswidrige Änderung des AsylbLG

Zum Treffen der Ministerpräsident*innen und dem Bundeskanzler

Die Ministerpräsident*innen der Länder und der Bundeskanzler haben sich in der Nacht auf ein Papier zur Migration geeinigt. Es trägt den originellen und irrsinnig innovativen Titel „Humanität und Ordnung“ – enthält allerdings null Humanität.

So hat das Gremium der Ministerpräsent*innen und des Kanzlers unzuständigkeitshalber mal eben beschlossen, in Teilen die Geschäftsgrundlage der Koalition abzuräumen: „Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wird nicht ausgeweitet“, heißt es lapidar in dem Papier. Wäre interessant, was diejenigen dazu sagen, die den Koalitionsvertrag ausgehandelt haben, in dem steht: „Wir werden die Familienzusammenführung zu subsi­diär Geschützten mit den GFK-Flüchtlingen gleichstellen.“ Es soll geprüft werden, ob Asylverfahren nach Ruanda oder wer weiß wohin ausgelagert werden können, die Länderchef*innen und der Kanzler rufen zu unionsrechtswidrigen Grenzkontrollen und in der Regel ebenso unionsrechtswidrigen Pushbacks an den deutschen Binnengrenzen auf, die Entmündigung und Entwürdigung von Geflüchteten soll durch eine „Bezahlkarte“ (also digitalisierte Sachleistungen) auf die Spitze getrieben werden. Die IT-Dienstleister scharren bereits mit den Hufen, weil sie wissen, dass sie sich eine goldene Nase verdienen werden.

Überhaupt sind Leistungskürzungen, die gesetzlich normierte Unterschreitung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das Mittel der Wahl. Die Analogleistungen des AsylbLG (also das halbwegs normale Sozialhilfeniveau) sollen künftig nicht mehr nach 18, sondern erst nach 36 Monaten erbracht werden. Und hier haben die MPs und der Kanzler etwas vereinbart, das recht sicher verfassungswidrig sein dürfte.

Denn das hieße: Sämtliche Menschen mit Duldung und Aufenthaltsgestattung werden drei Jahre lang Leistungen nach dem AsylbLG-Sondersystem erhalten, das nicht nur eine menschenrechtswidrige Notfallmedizin bedeutet, sondern aus dem bestimmte Bedarfe willkürlich herausgerechnet worden sind. Unter anderem sind die Anteile für Computer, Fernseher, elektronische Geräte, Musikinstrumente, Sport, Erholung, außerschulischen Unterricht usw. in den Grundleistungen gestrichen worden, weil ja von einem „nur kurzfristigen Aufenthalt“ auszugehen sei (BT-Drs. 18/7538, S. 21).

Das ist natürlich eine objektiv falsche Annahme, weil ein großer Teil der Menschen im Asylverfahren sich von Anfang an voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten wird; 70 Prozent der inhaltlichen BAMF-Entscheidungen ergeben einen Schutzstatus. Auch bei Menschen mit Duldung besteht aus den unterschiedlichsten Gründen oftmals eine hohe Bleibewahrscheinlichkeit.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11)  zur Frage der Höhe und Dauer der Grundleistungen folgendes entschieden:

„Lassen sich tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und will der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, muss er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten. Dies lässt sich zu Beginn des Aufenthalts nur anhand einer Prognose beurteilen. Diese bemisst sich zwar nicht allein, aber auch am jeweiligen Aufenthaltsstatus. Dabei ist stets dessen Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen.

Eine Beschränkung auf ein durch etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte geprägtes Existenzminimum ist unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus und ohne Rücksicht auf die Berechtigung einer ursprünglich gegenteiligen Prognose jedenfalls dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten hat. Für diese Fälle ist ein zeitnaher, an den Gründen des unterschiedlichen Bedarfs orientierter Übergang von den existenzsichernden Leistungen für Kurzaufenthalte zu den Normalfällen im Gesetz vorzusehen.“ (Randnummer 75 und 76)

Also:

  • Leistungen unterhalb des normalen Sozialhilfeniveaus sind nach BVerfG nur dann zulässig, wenn nachvollziehbar berechnet und nachgewiesen wurde, dass tatsächlich in der ersten Zeit ein geringerer Bedarf besteht. Dies ist indes nicht geschehen. Die Kürzung der Grundleistungen um die Bedarfe für Computer usw. ist ohne transparente nachvollziehbare Begründung und ohne Beleg eines tatsächlichen Minderbedarfs erfolgt. Außerdem hat die Gesetzgeberin bzw. die Bundesregierung nicht geprüft, ob auf der anderen Seite in der ersten Zeit nicht auch besondere Mehrbedarfe entstehen
  • Betroffen von den auf 36 Monate verlängerten Grundleistungen (also einem Niveau unterhalb der normalen Sozialhilfe) wären alle Personen, unabhängig davon, ob sie sich voraussichtlich dauerhaft oder voraussichtlich nicht dauerhaft in Deutschland aufhalten werden. Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, nur diejenigen zu erfassen, die tatsächlich nur kurzfristig in Deutschland sein werden, ist nicht ansatzweise erfüllt.
  • Und schließlich ist auch die Vorgabe nicht erfüllt, bei mehr als einem „Kurzaufenthalt“ zeitnah das normale Niveau der Existenzsicherung für alle zu gewährleisten. Drei Jahre ist definitiv mehr als ein „Kurzaufenthalt“; von einem „Kurzaufenthalt“ kann man wohl allenfalls bei wenigen Monaten ausgehen. Nach drei Jahren kann in anderen Konstellationen eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, sogar eine Einbürgerung soll zukünftig nach drei Jahren möglich sein. Dass bei dieser Zeitspanne ein „Kurzaufenthalt“ konstruiert wird, ist schlicht abwegig.

 

Es spricht viel dafür, dass schon die aktuelle Rechtslage des AsylbLG hinsichtlich der Höhe der Grundleistungen (vgl. Vorlagebeschluss des LSG Niedersachsen an das Bundesverfassungsgericht vom 13. Januar 2021, Az.: L 8 AY 21/19) und der 18-monatigen Wartezeit für die Analogleistungen verfassungswidrig ist; die Kürzungen nach § 1a AsylbLG sind es natürlich ohnehin! Die 18 Monate werden aktuell damit begründet, dass für diese Zeit regelmäßig eine Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung bestehe (BT-Drs. 19/10706, S. 17 f) – was bereit jetzt sehr oft nicht zutrifft, insbesondere für Familien mit Kindern. Wie die Bundesregierung zukünftig eine objektiv nachvollziehbare Begründung für einen dreijährigen „Kurzaufenthalt“ konstruieren will, ist völlig schleierhaft.

Noch schleierhafter wird das Ganze übrigens, wenn die Ministerpräsident*innen und der Kanzler an anderer Stelle selbst schreiben, dass bei Geflüchteten im Asylverfahren oftmals eine „rechtlich gesicherte Bleibeperspektive“ bestehe. Für diese solle nämlich der Arbeitsmarktzugang rechtlich geöffnet werden. Schon Interessant: Geflüchtete haben bereits während des Asylverfahrens eine „rechtlich gesicherte Bleibeperspektive“ und sollen daher leichter eine Arbeitserlaubnis bekommen können. Sie haben zugleich aber einen „nur kurzfristigen Aufenthalt“ und sollen deshalb Leistungen unterhalb des menschenwürdigen Existenzminimums bekommen.

Offensichtlich sind den Ministerpräsident*innen und dem Kanzler verfassungsrechtliche Erwägungen relativ egal, ihnen geht es in erster Linie um fiskalische und migrationspolitische Ziele – und um das populistische Signal an die interessierte Öffentlichkeit: „Jetzt kürzen wir den Flüchtlingen ihr Geld!“ Im Bund-Länder-Papier heißt es: „Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sind der Auffassung, dass die Anreize für eine Sekundärmigration innerhalb Europas nach Deutschland gesenkt werden müssen.“

Das ist eine hochgradig bedenkliche Grundhaltung gegenüber den Vorgaben unserer Verfassung und spricht weder für Humanität noch für Ordnung.

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