Benachteiligung von EU-Bürgern in Jobcentern aufgrund struktureller Probleme

Studie des DeZIM – Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (Berlin), veröffentlicht im MiGAZIN

EU-Bürger in Deutschland haben Anspruch auf Sozialleistungen. Aufgrund struktureller Probleme in Jobcentern können sie ihre Ansprüche aber oft nicht geltend machen. Viele Betroffene fühlen sich diskriminiert. Menschen, die ihre Rechte nicht kennen, kein Deutsch können und denen die deutsche Bürokratie fremd sind, fällt es schwer, ihre Ansprüche auf Sozialleistungen geltend zu machen. Nur wer seine Rechte und Pflichten gut kennt und Deutsch spricht, hat Aussicht auf Erfolg beim Jobcenter. Das zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), die dem MiGAZIN exklusiv vorliegt.

Danach erhalten Personen, die ihren Antrag nicht begründen können oder Unterstützung benötigen, oft keine Sozialleistungen. Das gilt herkunftsübergreifend sowohl für gering qualifizierte Antragssteller als auch für hoch qualifizierte Fachkräfte. Ursächlich dafür ist laut Dr. Nora Ratzmann hohe Arbeitsbelastung und Zeitmangel in Jobcentern. „Häufig steht keine diskriminierende Absicht dahinter, dass EU-Bürger:innen benachteiligt werden“, erklärt Ratzmann dem MiGAZIN.
Für die Studie hat die Sozialwissenschaftlerin 103 qualitative Interviews mit Betroffenen geführt, die seit 2004 aus einem anderen EU-Land nach Deutschland gezogen waren, sowie Mitarbeitende von Jobcentern und Sozialberatungsstellen. Viele Sachbearbeiter seien engagiert, könnten aber die oft komplexen Fälle vieler EU-Bürger nicht angemessen bearbeiten. „Die Rahmenbedingungen, in denen sie arbeiten, können aber zur Diskriminierung von EU-Bürger:innen führen“, so Ratzmann weiter.

Um mehr Zeit für die Bearbeitung der Anträge zu gewinnen, forderten manche Sachbearbeiter in Jobcentern Unterlagen an, die nicht zwingend erforderlich seien oder rechtlich gar nicht vorgelegt werden müssten. Auch eine zu enge Auslegung der gesetzlichen Vorgaben und des Ermessensspielraums könne zur Ungleichbehandlung von EU-Bürgern führen.
Erschwerend kommt der Studie zufolge hinzu, dass viele Mitarbeiter von Jobcentern darauf bestehen, ausschließlich auf Deutsch zu kommunizieren. Antragssteller, die nicht genügend Deutsch können, sind deshalb im Nachteil. Dies widerspricht jedoch dem Prinzip der Gleichbehandlung: Sozialleistungen dürfen nicht an Sprachkenntnisse gekoppelt werden.
In ihrer Not greifen laut Untersuchung viele Betroffene auf Unterstützung von Freunden, Familienangehörigen und Bekannten zurück. Professionelle Unterstützung gebe es aber in der Regel in Sozialberatungsstellen. Problem: Nicht alle Betroffenen kennen dieses Angebot. „Zuwanderer:innen aus EU-Staaten sollten stärker über ihre sozialen Rechte und Pflichten und die Besonderheiten der deutschen Bürokratie informiert werden. Sie brauchen mehr Unterstützung“, sagt Prof.Dr. Sabrina Zajak vom DeZIM-Institut. Sie fordert: „Mitarbeiter:innen der Jobcenter müssen mehr über die komplexen Rechtsansprüche von EU-Migranten und ihrer Bedürfnisse als Neuankömmlinge in der deutschen Gesellschaft wissen. Sie brauchen mehr Übung im Umgang mit Diversität und mehr Fremdsprachenkenntnisse. Vor allem aber brauchen sie mehr Zeit, um die Fälle von Antragssteller:innen aus anderen Staaten der EU angemessen prüfen zu können.“

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